story
Noch wenige Schritte, noch ein Tag, dann ist Caroline perfekt, dann ist sie an ihrem Ziel. Die Mittfünfzigerin liegt auf ihrem Klinikbett. Voller Hoffnung auf eine unbeschwerte Zukunft verabschiedet sich Caroline von ihrem alten Ich und fühlt sich seit Jahrzehnten das erste Mal glücklich. Doch jenes Glück zerbricht, ehe Caroline es auskosten kann. Unmittelbar nach ihrer geschlechtsangleichenden Operation erhält Caroline die Nachricht, dass ihr Vater im Sterben liegt. Das über Jahre weggeschlossene Kindheitstrauma bricht wieder auf. Fragmentarische Erinnerungen an jene Orte am Mittelrhein, an denen sie als Kind und Teenager missbraucht wurde, suchen immer stärker Carolines Gegenwart heim, schleichen sich in ihre Gedanken und Träume.
Caroline hat Angst, in eine Abwärtsspirale zu geraten. Ein Halt in dieser Zeit sind Mike und Anke, ein befreundetes Ehepaar, die Caroline in den vielen dunklen Stunden auffangen und ihr die Familie geben, die sie nie hatte. Mit ihrer Unterstützung sucht Caroline Hilfe bei einem Psychologen.
Der Film wird damit unweigerlich zu einem Kammerspiel zwischen der Protagonistin und ihrem Therapeuten auf der einen Seite und Interaktionen mit alten und neuen Weggefährten auf der anderen. Mit ihnen zusammen taucht der Zuschauer ein in Carolines Innenleben, um ihren Schmerz zu verstehen. Und zu begreifen, dass Caroline kein Einzelschicksal ist, sondern an jedem Flussufer ähnliche traumatische Kindheitserinnerungen zu finden sind.
Director Statement
Caroline ist für uns eine Kämpferin und Heldin, die allen Widerständen zum Trotz ihren Weg geht. Vor drei Jahren lernten wir Caroline kennen. Bereits während der Dreharbeiten zum Kurzfilm„Jetzt bin ich –Ich“ und den Recherchearbeiten während der geschlechtsangleichenden Operation entwickelte sich ein intensives Vertrauen. Dass wir zu Zeugen eines schweren Schicksalsschlags und einer Reise in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele wurden, konnten wir damals nicht ahnen.
Unmittelbar nach ihrer geschlechtsangleichenden Operation erhielt Caroline die Nachricht, dass ihr Vater im Sterben liegt. Per Facebook. Dem ersehnten Glück so nah, endlich am Ziel, endlich Frau zu sein, unterbrach jäh das verdrängte Kindheitstrauma des jahrelangen Missbrauchs durch ihren Vater und andere Männer. Es folgten für sie extrem schwere Monate. Spontane Flashbacks, wo irgendein Gegenstand, ein Bild oder eine Melodie eine schwere Erinnerung bei Caroline auslöste.
Wir stellten uns als Filmemacher sofort die Frage, ob wir weiterdrehen können. Caroline‘s Reaktion überraschte uns umso mehr. Sie wollte die Dreharbeiten nicht beenden. Sie wollte ihre Geschichte erzählen. Sie will, dass der Film Spiegel ihrer Aufarbeitung ihres Traums wird. Sie möchte damit anderen Betroffenen von sexualisierter Gewalt den Glauben an sich selbst und an das Weiterleben geben. Auch wir finden, dass ihr Kampf ums Überleben, erzählt werden muss. Statistiken von Opferverbänden besagen, dass ein bis zwei Kinder pro Schulklasse von sexualisierter Gewalt betroffen sind.
Manchmal liest man eine Meldung in der Zeitung. Aber was das mit diesen Kindern macht und wie es ihr Leben zerstört, verschwindet hinter diesen Zeilen. Wir wollen mit dem Film stellvertretend all diesen Kindern eine Stimme geben. Auch Gespräche mit anderen Missbrauchsopfern und Betroffenenverbänden haben uns motiviert, weiterzumachen und den inhaltlichen Fokus des Films zu ändern.
Caroline suchte sich in der Zwischenzeit professionelle Hilfe bei dem Psychologen und Traumatherapeuten Prof. Dr. Kurt Seikowski der Universität Leipzig, den sie schon als Gutachter im Vorfeld ihrer Operation kennengelernt hat und zu dem ein Vertrauensverhältnis besteht. Caroline und ihr Therapeut bestärkten uns darin, auch diese Therapiesitzungen zu filmen. Die Kamera war dabei im Hintergrund agierend, ohne die Gespräche zu stören oder Einfluss auf den Therapieverlauf zu nehmen.
And gently flows the Rhine ist unweigerlich zu einem sehr intimen Porträt geworden. Bei der Weltpremiere auf den 55.Internationalen Hofer Filmtagen wurde der Film durch das Publikum und der Presse gelobt: als ein empathisch, berührend und mutiger Film.